„Es sollen Begegnungsräume entstehen, die Platz schaffen für einen Austausch zwischen Menschen und Kulturen. Wir wollen ein kleines Dorf mit vielen Hüttchen erstellen, die in ihren Funktionen auf dem Grundstück verteilt sind.“ Wenn Rowina Perner, Karlie Wasser, Katy Guth und Niclas Peter über ihr aktuelles Studierendenprojekt sprechen, wird sofort deutlich, wie viel Herzblut hinter ihrer Arbeit und Idee steckt. Die vier studieren im Bachelor Architektur an der Hochschule Biberach (HBC) und sind gemeinsam mit Prof. Felix Schürmann, Studiendekan Architektur, Teil des Projekts „The Project Justine – Train the trainer e.V.“, das in Benin, Westafrika, ein Ausbildungszentrum für junge Einheimische errichtet.
Für die Teilnahme am Projekt haben die Studierenden nun sogar eine Auszeichnung erhalten: Sie haben es unter die 10 Gewinner-Teams des Wettbewerbs „Engagement hoch Zehn“ des Stifterverbands Deutschlandstipendium geschafft. Der Wettbewerb wurde ausgerufen, um StipendiatInnen in den Vordergrund zu rücken und ein Forum zur Präsentation ihrer ehrenamtlichen Projekte zu schaffen.
Bildung und die Chance auf ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben sind hohe Güter, die längst nicht allen Menschen auf dieser Welt gegeben sind. In unterentwickelten Ländern erreicht nicht einmal die Hälfte der dort lebenden Kinder einen Grundschulabschluss – von der Möglichkeit, eine Ausbildung oder gar ein Studium zu beginnen, können viele Jugendliche nur träumen. Um dies zu ändern, entstand der Verein „The Project Justine – Train the trainer e.V.“ Das Projekt des Vereins besteht im Bau und Betrieb eines Ausbildungs- und Kulturzentrums in Natitingou im Norden von Benin. Junge Einheimische, die sonst kaum Zugang zu einem Beruf hätten, sollen dort Berufsausbildungen erhalten. Ziel ist es, dass sie durch eine Ausbildung ihr Leben selbst in die Hand nehmen und der weit verbreiteten Armut entkommen können. In einem ersten Schritt wird eine Schneiderausbildung angeboten, weitere handwerkliche Gewerke sollen folgen. „Train the trainer“ bildet dabei das Leitprinzip: Die Teilnehmer sollen nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können, sondern das erworbene Wissen als Ausbilder weitergeben. Dadurch werden die erworbenen Fertigkeiten multipliziert – nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe im besten Sinne.
Das Berufs- und Ausbildungszentrum wird in zwei Bereiche gegliedert, die unterschiedlichen Nutzungen dienen. Arbeits- und Seminarbereich, sowie Wohn- bzw. Appartementbereich. Im Näh- und Seminarbereich ergänzen sich Nähatelier, Laden, Seminar- und Aufenthaltsbereiche zu einem vielseitig – auch veränderbar – zu nutzenden Raumkomplex. Arbeiten, lernen, präsentieren und gemeinsames Verbringen von Pausen und freier Zeit verknüpfen sich zu einem lebendigen Miteinander. Auch im Wohnareal bietet die Anordnung der Häuser sowohl individuelle Rückzugsmöglichkeiten als auch das gesellige Beisammensein in der offenen Küche und im lockeren Innenhof an. „Am Ende soll das Ganze als eine Einheit wahrgenommen und genutzt werden“, beschreibt Niclas Peter das Konzept.
Bereits seit 2017 ist Professor Schürmann mit der Fakultät Architektur/Energie-Ingenieurwesen der Hochschule Biberach an dem Projekt beteiligt und arbeitet an den Entwürfen für das kleine Dorf. Der Architekt ist durch seine ehemalige Nachbarin, Rahmée Wetterich, die den Verein gegründet und ihrem Münchner Atelier „Noh Nee“ die erste Beniner Schneiderin ausgebildet hat (siehe Infokasten), auf das Projekt aufmerksam geworden. Für die Studierenden ist es aus mehrerlei Hinsicht eine besondere Lehrveranstaltung. „Es ist ein Projekt in einem völlig anderen Kulturkreis und das tropische Klima erfordert eine spezielle Zusammensetzung von Baustoffen. Wir planen mit Materialien, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass es sie gibt“, erzählt Niclas Peter. Gerade, dass die Studierenden noch nie vor Ort waren und die klimatischen Bedingungen selbst erlebt haben, stelle sie bei den Planungen vor Herausforderungen. Auf der einen Seite muss bei den Gebäuden die extreme Hitze mitbedacht werden. Auf der anderen Seite fällt viel Regen und die Häuser sollten von unten geschützt werden. Die fehlenden Eindrücke von vor Ort kompensieren sie vor allem durch Gespräche mit Einheimischen. „Hier müssen wir auf das Wissen der Menschen, die dort leben, vertrauen und mit unserem Wissen, das sie vielleicht nicht haben, ergänzen. Eine Vertrauensbasis entwickeln – das ist die Kunst in unserem Beruf“, erklärt Professor Schürmann. Die verwendeten Materialien müssen dem Wetter standhalten, regional und dauerhaft erhältlich sein, sowie die Einbindung örtlicher Handwerker erlauben. Alle Gebäude sollen auf einem Sockel aus Naturstein stehen, wodurch die darauf platzierten verputzten Außenwände aus „Lehm-Bullen“ vor Nässe geschützt werden. Die Dachkonstruktion besteht aus einer geschlossenen Staubdecke und einem Raumfachwerk aus Stahl mit aufliegendem Wellblech.
Neben den architektonischen Besonderheiten, spielt für Karlie Wasser der soziale Hintergrund eine bedeutende Rolle: „Wir beschäftigen uns ganz intensiv mit dem sozialen Gefüge vor Ort und müssen uns überlegen, was will ich durch die Anordnung der Gebäude erreichen? Wie beeinflusst die Bauweise die Menschen, die in dem Dorf leben, lernen und arbeiten?“ Ein Gedankenstrang, der die Studierenden laut Professor Schürmann vor allem auch in ihrer Laufbahn als angehende ArchitektInnen weiterbringt: „Durch dieses Projekt lernen unsere Studierenden, dass sie etwas bewirken können und eine Verantwortung haben. Architektur trägt ganz wesentlich dazu bei, zu organisieren, wie Menschen miteinander in Kontakt treten. Hier im Studium kann man so viel bewegen und man merkt, das was ich mache, ist eine Zeit später Lebenswirklichkeit von Menschen.“
„Wir wollen jetzt mit den Planungen so schnell wie möglich fertig werden, damit mit den Kalkulationen begonnen werden kann und dem Baubeginn im Herbst nichts mehr im Weg steht“, erläutert Rowina Perner. Die Studierenden befinden sich in den letzten Zügen der Planung und stimmen sich derzeit regelmäßig digital ab. Die Bauausführung des Projektes erfolgt in Kooperation und durch das CFL – Centre de Formation Liweitari – einer privaten und von Spenden getragenen Ausbildungsstätte, die sich neben den engagierten Zielen der beruflichen Ausbildung Jugendlicher der einheimische Baukultur verpflichtet fühlt. „Das i-Tüpfelchen wäre, wenn wir zu den Bauarbeiten nach Benin reisen könnten und das Projekt bis zum Ende begleiten dürfen. Das wächst einem schon ans Herz“, sind sich die angehenden ArchitektInnen einig. Stolz macht die vier vor allem, dass sie durch ihre Arbeit nachhaltig etwas in Benin verändern können. „Das Nähatelier ist nur der Anfang und hat den Anstoß für viele weitere Ideen und mögliche neue Jobs gegeben. Durch das Ausbildungszentrum haben die Einheimische die Chance, sich in Zukunft selbst zu finanzieren“, freut sich Rowina Perner.
Infokasten:
Erste Klamotten und Dirndl, die die NäherInnen in Benin angefertigt haben, werden im Münchner Atelier Noh Nee und dessen Online-Shop verkauft. Die beiden gebürtigen Kameruninnen Rahmée Wetterich und Marie Darouiche haben das Label gegründet und „The Project Justine – Traint the trainer e.V.“ ins Leben gerufen, indem sie die Beninerin Justine Payarou nach München zur Ausbildung als Schneiderin holten. Sie leitet nun die afrikanische Filiale von Noh Nee und bildet selbst Lehrlinge aus – der Beginn des Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekts. www.nohnee.com
Bild: Justine Payarou